Meister der Rede
Liebe Angehörige,
kürzlich sagte eine Bekannte zu mir: „Ich fühle mich in meinem Beruf überhaupt nicht mehr wohl und verdiene nicht genug. Ich werde jetzt Trauerrednerin.“ So denken derzeit viele und deshalb schießen neue Trauerredner wie Pilze aus dem Boden, mitsamt ihren Ausbildern, die ebenfalls Trauerredner sind oder auch schon mal Radiomoderator.
Entsprechende Schulungen sind teuer - eine Woche oder nur 3 Tage Crashkurs und fertig ist der Trauerredner. Diese frischgebackenen Meister*innen des Wortes, meist zwischen 25 und 35 Jahre alt treten mit klang- und kunstvollen Namen auf, wobei zu bezweifeln ist, ob diese Eleven jemals bereits einen Leichnam sahen. Dafür geben sich diese Darsteller*innen im Internet jede Menge “Gold" und “5-Sterne” Bewertungen. „Der Hausbesuch bei ihnen hat mir sehr, sehr viel Spaß gemacht!“ piepste die Rednerin in einer Trauerfeier. Die gesamte Trauergemeinde zuckte zusammen! Der Verstorbene war Mitte 60 und ging seinen letzten Weg leidvoll in schwerster Krankheit. Weiter in dieser Rede wurde dieser Verstorbene verglichen mit einem „kleinen Kirschbäumchen mitten im Wald“ - zu Lebzeiten war er ein kräftiger Zweimetermann. Da hat doch die Rednerin noch nicht mal begriffen, was überhaupt passiert ist!
Nehmen sie sich solch einen Redner/eine Rednerin und sie werden die Trauerfeier in all ihrer Peinlichkeit und Groteske nie vergessen!
Natürlich ist jedem freigestellt, wie der Abschied von einem geliebten Menschen gestaltet werden soll. Aber ein Trauerredner kostet Geld. Wenn ich dann sehe, wie glatt 500 oder 600 Euro genommen werden, zeigt dies, dass nicht mal eine ordentliche Kostenrechnung gemacht wurde. Ich finde, dass eine gewisse Lebenserfahrung zu dieser Tätigkeit gehört. Unerlässlich die menschliche Empathie, die Würde, die Unermüdlichkeit Menschen gerne beizustehen und das Wissen, dass man als Trauerredner nicht reich wird. Unbeholfenheit, Flapsigkeit und die Aussicht auf schnelles Geld haben beim Abschied von lieben Menschen nichts verloren.
Ich habe 12 Jahre mit Rednern und Rednerinnen gearbeitet, die sich trotz Konkurrenz auf Augenhöhe akzeptieren, deren Maßstab war und ist, Angehörige auf ihrem schweren Weg zu begleiten und ihnen Trost und Zuversicht zu geben. Dabei sind Trauerreden bis dato und in Zukunft unsere eigenen Worte und an keiner Stelle mit künstlicher Intelligenz erstellt. Es ist für Angehörige sicher nicht einfach, in einer traurigen, schweren Situation eine gute Wahl zu treffen. Doch vielleicht erinnern sie sich an Redner, Rednerinnen, welche ihnen in der Vergangenheit tröstend und Mut machend zur Seite standen oder sie fragen Verwandte und Bekannte, denen sie vertrauen.
Ihre Sylvia Vodel